Dr. Inge Gräßle
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Juli 2023 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der
Französischen Republik über die grenzüberschreitende Berufsausbildung: Die Debatte könnte schnell zu Ende sein. Der vorliegende Gesetzentwurf ist gut und richtig. Also Haken dran, Daumen hoch,
fertig. Gut und richtig ist er, weil er grenzüberschreitende Ausbildung in Grenznähe ermöglicht und den bisherigen Rückgang der grenzüberschreitenden Ausbildungsverträge beseitigen könnte –
hoffentlich. Gut und richtig ist er, weil er gerade entlang der deutsch-französischen Grenze das alltägliche Leben erleichtert – hoffentlich.
Was mich umtreibt, sind folgende Fragen: Warum brauchen wir dazu eigentlich diesen Gesetzentwurf, wo wir doch einen europäischen Bildungsraum haben, die EU und die gegenseitige Anerkennung von
Abschlüssen? Warum brauchen wir die im Gesetzentwurf nochmals eigens festgelegten Verfahren, wo und wie Ausbildungsverträge hinterlegt werden, welches Arbeitsrecht gilt, wer wann wen bei
welchen Ausbildungszentren und Berufsschulen und zu den jeweiligen Prüfungen anmeldet und welchen Abschluss die Absolventinnen und Absolventen dann in der Tasche haben?
Es ist wirklich eine große Enttäuschung für mich, dass wir mit Europa nicht schon weiter sind, dass diese Bestimmungen nur für Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland gelten, während
in Frankreich das ganze Land und alle Menschen davon profitieren können. Warum diese Einschränkungen im Geltungsbereich in Deutschland?
Wo Europa konkret gelebt wird, fügt sich – das sehen wir mit diesem Gesetzentwurf ganz deutlich – eine Rechtslücke an die andere. Gerade im Bereich der extrem verregelten beruflichen Bildung, wo
mehrere Schichten an berufsständischen und staatlichen Regeln aufeinandertreffen, türmen sich die Hürden, die die einzelnen Ausbildungswilligen und ihre Ausbildungsbetriebe deutlich überfordern.
Es wäre doch eine tolle Sache und Europa mehr gedient als mit den vielen Sonntagsreden, die wir gerade hören, wenn sich das Bildungsministerium zusammen mit dem Wirtschaftsministerium, den
Kammern und der EU-Kommission an den Abbau dieser Hürden machte.
Der vorliegende Gesetzentwurf weist Wege durch den Vorschriftendschungel. Gelichtet wird der Dschungel nicht, nirgendwo. Das empfinde ich als ganz grundsätzliches Manko. Wir wollen den Dschungel
lichten. Deswegen kann man eben nicht einfach einen Haken an die Sache machen. Das BMBF sollte Initiative zeigen und mutig vorangehen – doch leider sind das zwei Fremdworte für das Ministerium:
„Initiative zeigen“ und „mutig vorangehen“. Der Binnenmarkt braucht genau solche Aktivitäten, damit endlich Leben in den europäischen Bildungsraum kommt. Also: Keine Blabla-Wahlkampfreden, wie
toll Europa ist, sondern Inhalte und konkrete Vorschläge für Vereinfachungen!
Unsere Mittelständler an der Rheinschiene, an allen Grenzen – davon haben wir als einziges Land in Europa neun! – könnten von solchen Vereinfachungen profitieren, die wir jetzt für einige wenige
an der deutsch-französischen Grenze realisieren. Unsere duale Ausbildung ist ein Pfund, mit dem wir doch wuchern können und auch wuchern müssen. Überall auf der Welt genießt sie hohes Ansehen.
Sie beschert uns eine sensationell niedrige Jugendarbeitslosigkeit und bestmöglich in der Praxis ausgebildete junge Menschen.
Also: Machen Sie sich auf! Sehen Sie nicht das Ende erreicht, sondern den Anfang eines wunderbaren Wegs hin zu einem wirklich großen Europa, von dem unsere jungen Menschen sagen: „Jawohl, das
gibt mir die Chancen, ohne umfangreiche Prozesse zu starten“, von dem die Ausbildungsbetriebe sagen: „Jawohl, ich habe Chancen hier, und ich nutze sie“, ohne sich mit viel Bürokratie
herumschlagen zu müssen!
# Video der Rede