Roderich Kiesewetter
Am 28. April 2022 hat der Deutsche Bundestag überfraktionell eine umfassende Unterstützung der Ukraine beschlossen mit humanitären, finanziellen und militärischen Mitteln, auch mit schweren und
komplexen Waffensystemen. Vor allem steht in diesem Antrag aber die Aufforderung, die Unterstützung zu "beschleunigen".
Seit über 630 Kriegstagen verteidigen die Ukrainer ihr Land gegen den völkerrechtswidrigen und brutalen Angriff Russlands. Die Ukraine verteidigt dabei nicht nur ihr eigenes Territorium, sondern
die gesamte internationale regelbasierte Ordnung. Es ist ein Krieg, der nicht nur gegen die Ukraine geführt wird, sondern auch gegen uns, gegen ganz Europa. Nicht nur durch Russland, sondern
unterstützt durch eine fürchterliche Allianz der Autokratien: China, Russland, Iran, Nordkorea (CRINK). Es werden weitere Kriegsschauplätze eröffnet, Konflikte angeheizt, kritische
Infrastrukturen angegriffen, Desinformation wird wie ein schleichendes Gift verbreitet, die Aufmerksamkeit für die Ukraine soll schwinden und damit die Unterstützung, so das Kalkül der
CRINK.
Der Krieg findet nicht nur auf dem militärischen Schlachtfeld, sondern auch auf dem hybriden Schlachtfeld statt. Es ist dabei insbesondere ein Abnutzungskrieg gegen den Westen. Die Zeit rennt
nicht nur der Ukraine davon, sondern auch uns: Ressourcenbereitstellung, mentale Durchhaltefähigkeit bei den Polykrisen, Entschlossenheit, Einigkeit und Stärke, sie bröckeln.
Deshalb haben wir als CDU/CSU Fraktion einen umfassenden Ukraine-Antrag für langfristige und nachhaltige Unterstützung eingebracht. Ein Sieg der Ukraine ist entscheidend für uns - denn unsere
Sicherheitsinteressen sind direkt betroffen. Die Ukraine darf keine Blaupause für andere Staaten wie Serbien gegen Kosovo oder insbesondere China gegen Taiwan werden, das hätte katastrophale
Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Obwohl also unsere deutschen Interessen direkt betroffen sind, ist es allein die ukrainische Bevölkerung, die seit über 630 Tagen auf grausame Weise militärisch angegriffen wird. Nur ukrainische
Soldaten kämpfen, werden verwundet und es sind nur ukrainische Soldaten, die an der Front sterben, weil sie für Europa kämpfen, für unsere Werte: Freiheit und Demokratie.
Die ukrainische Befreiungsoffensive war dabei durchaus erfolgreich, so konnte die Ukraine taktische Erfolge auf der Krym erzielen und die russische Schwarzmeerflotte verdrängen und punktuell
schwächen. Mittlerweile ist sie aber ins Stocken geraten. Es geht langsamer, vor allem, weil Europa seine Versprechen nicht einhält bezüglich zugesagter Munition, weil Deutschland zuerst
Panzerlieferungen verzögert und jetzt weitreichende Präzisionswaffen verhindert, weil zu wenig zu spät geliefert wird. Den ukrainischen Kräften mangelt es insbesondere auch an der Fähigkeit,
Versorgungslinien, Führungseinrichtungen und die logistischen Strukturen weit hinter der Frontlinie gezielt anzugreifen, um die Grundlage für weitere erfolgreiche Offensiven zu schaffen.
Folgerichtig hat die Ukraine daher bereits mehrfach den Wunsch nach abstandsfähiger Präzisionsbewaffnung geäußert und dabei auch konkret bei Deutschland im Mai 2023 eine Lieferung des
TAURUS-Marschflugkörpers erbeten. Taurus, weil diese hochwirksam und noch effektiver als die bereits gelieferten Systeme sind, wie Verteidigungsminister Pistorius völlig richtig sagt. Taurus,
weil es um den Faktor Zeit geht: ohne Taurus lässt man sehenden Auges zu, wie Russland sich erneut über den Winter eingräbt und neue Versorgungslinien hochzieht. Taurus, weil damit die
Kertschbrücke auf der Krym zu erreichen ist, über die bislang ca. 80 Prozent der russischen Versorgung läuft.
Wenn die Bundesregierung tatsächlich das Ziel verfolgt, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss, dann sollte sie ein so wirksames System nicht zurückhalten, sondern gerade Taurus liefern. Es
ist in unserem eigenen Sicherheitsinteresse, der Ukraine die Waffen zu geben, die sie braucht, um Russland militärisch zurückzudrängen. Ein solcher Erfolg ist auch Voraussetzung für jedwede
Verhandlungen. Es ist richtig, dass jedes System geprüft und abgestimmt sein muss. Aber zwischenzeitlich liegen Gutachten vor, die bescheinigen, dass nichts gegen eine Lieferung spricht weder
militärisch, noch technisch noch rechtlich - alle offenen Fragen sind geklärt, alle Scheinargumente mehrfach ausgeräumt: Wissenschaftlerinnen wie Claudia Major bescheinigt am 4.9.: "Deswegen kann
ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen, warum Deutschland zögert, wenn es tatsächlich eine sehr wichtige, entscheidende Waffe damit liefern kann, die der Ukraine helfen kann, die Offensive
fortzusetzen." Auch jetzt am Sontag schreiben NATO-Generäle: Es gibt Möglichkeiten, wie die Ukraine gewinnen kann. Alle sind sich einig: Es braucht auch Taurus. Jede Verzögerung hilft somit nur
dem Terrorstaat Russland.
Die Frage zur Lieferung von Taurus ist keine hypothetische, wie die Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage schreibt. Die Frage bedeutet für die Ukraine Leben oder Sterben. Denn die Zeit
läuft ab: Die Taurus-Frage bedeutet, ob Russland weiterhin Nachschub ungehindert an die Front transportieren kann, sie bedeutet, ob die Ukraine die Offensive erfolgreich fortsetzen kann.
Wir haben die Lieferung von Taurus deshalb ausgekoppelt aus unserem Antrag für langfristige und umfassende Unterstützung der Ukraine, weil es hier nicht um ein einzelnes sinnvolles Waffensystem
geht. Ein einzelnes Waffensystem entscheidet nicht den Krieg. Aber es geht bei Taurus um die Frage: Was ist das Kriegsziel? Wollen wir, dass die Ukraine gewinnt und ihre Grenzen von 1991
wiederherstellt? Dann müssen wir die Systeme liefern, die die Kertschbrücke über die Krym zerstören und die Systeme, die neue Nachschubwege der Russen zerstören können. Oder wollen wir, dass
Russland gewinnt? Und jeder Zentimeter UKR ist für ein Russland ein Gewinn. Die Krym ist der Stabilisator für Putins System. Die Krym steht für Kriegsverbrechen, für Völkerrechtsbruch, für Tod,
Vertreibung und die Verlängerung des Kriegs. Wenn die Ukraine fällt oder in einen Diktatfrieden gedrängt wird, stehen in Europa düstere Zeiten bevor: Wir müssten dann mit einer permanenten
Bedrohung durch Russland leben. Ein Russland, dass sich ermutigt fühlt und weiter macht. Es wird dann früher oder später NATO-Staaten eingreifen, weil es die Schwäche des Westens als Einladung
versteht. Dann werden unsere Soldaten kämpfen müssen. Wenn die Ukraine verliert, muss die ukrainische Bevölkerung fliehen, wenn sie in Freiheit leben will, in Demokratie und nicht unter
russischem Joch und auch nicht in Dauerbeschuss. Wenn Russland gewinnt, dann ist die Ukraine eine Blaupause für andere Autokratien. Staaten wie der Iran fühlen sich bestärkt und werden nuklear
aufrüsten, denn allein die nukleare Drohung reicht aus, dass der Westen einem Opfer, einem angegriffenen Staat nicht ausreichend hilft. China wird sehen, der Westen ist schwach und unglaubwürdig,
sich Taiwan einverleiben und die Freiheit der Seewege erpressen. Jeder dritte Euro in Europa wird im Indo-Pazifik verdient. Wenn China den Zugang blockiert und uns Bedingungen diktiert, dann sind
ein Drittel unseres Handels bedroht. Solche Szenarien müssen wir berücksichtigen.
Bei unserem Antrag für die sofortige Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, war uns wichtig, diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Es ist keine Frage nach einem einzelnen Waffensystem. Es ist die
Frage, wie wir in Europa leben wollen. In Freiheit und Demokratie oder in Unfreiheit, Krieg, Angst und Armut? Es geht bei Taurus um das Ziel: wollen wir das die Ukraine gewinnt und ihre Grenzen
von 1991 wiederherstellt? Wollen wir die Stärke des Rechts obsiegt? Wollen wir das tausende ukrainische Soldaten zu ihren Familien zurückkehren? Deshalb ist es schade, dass die Ampel eine
Sofortabstimmung über den Taurus abgelehnt und den Antrag an den Ausschuss verwiesen hat. Es gibt nichts mehr zu beraten bei Taurus, deshalb bleibt zu hoffen, dass die Ampelkoalition sich besinnt
und dem Antrag zur Lieferung von Taurus rasch beschließt. Damit würde das Parlament die klare Botschaft senden, dass wir für Taurus sind, dass wir für den Sieg der Ukraine sind, dass wir für
Freiheit in Europa stehen.