Die ukrainische Bevölkerung ist zwar erschöpft von Bombenterror und unzähligen Opfern, aber der Kampfeswille und der Einsatz zum Wiederaufbau sind ungebändigt. Das wurde bei meiner Reise letzte Woche nach Kyiv und in die Hafenstadt Odessa klar.
Ziel meiner Reise war es, neben einem Überblick über Bedarfe und den Stand der Befreiungsoffensive zugleich ein Zeichen der Solidarität und Dankbarkeit für die Ukraine zu übermitteln. Obwohl ganz Europa Kriegsziel Russlands ist, ist es nur die Ukraine, die massive Opfer erbringt und um jede Unterstützung quasi betteln muss. Dabei ist es der Befreiungskampf der Ukraine, der aktuell verhindert, dass wir selbst Kriegspartei werden.
Bei meinen Gesprächen u.a. mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister, mit den Verantwortlichen im Hafen Odessa und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wie dem Goncharenko-Zentrum wurde deutlich, dass wir die Ukraine mehr unterstützen müssen und vorausschauend weitere Unterstützungslieferungen auch für das kommende Jahr vorbereiten sollten. Wichtig ist insbesondere die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, um russische Versorgungslinien zu durchbrechen.
Die Bedeutung des Hafens Odessa wurde beim Gespräch mit der Hafenverwaltung und der Regionalverwaltung der Region deutlich. Der Fortbestand der Getreidelieferungen und Möglichkeiten für ein Getreideabkommen sind essenziell für Wirtschaft und Liquidität der Ukraine und um Infrastruktur und Personal im Hafen behalten zu können. Odessa könnte vielmehr auch im Bereich des Wiederaufbaus eine entscheidende Rolle als Wiederaufbau-Hub spielen. Und der Wiederaufbauwille ist ungebändigt, was man auch an begonnenen Arbeiten an vom Bombenterror zerstörten Einrichtungen in Odessa sah. Die durch Bombenangriffe kürzlich teilweise zerstörte Verklärungskathedrale, das Wahrzeichen von Odessa, befand sich bereits wieder im Aufbau.
Der Zusammenhalt in der Bevölkerung ist eher noch gewachsen. Die Ukrainer wissen, dass sie nicht unter russischem Joch leben wollen, sie wissen, wofür sie kämpfen. Gerade die russische Besatzung heißt Mord, Folter, Vergewaltigung und Kindesentführung, der rasche Wiederaufbau ist auch ein wichtiger Teil der Traumabewältigung und der Schaffung einer Zukunftsperspektive.
In Kyiv nahm ich zudem bei einer internationalen Konferenz für ein Sondertribunal zur Ahndung russischer Kriegsverbrechen und des Angriffskrieges teil. Für die Bevölkerung, in der fast alle mindestens einen Angehörigen im Krieg verloren oder Kriegsverbrechen erlebt haben, ist dies besonders wichtig, deshalb kämpft das Land für die Einrichtung eines Sondertribunals.
Von Odessa ging es über die Grenze weiter in die Republik Moldau, die mit einer aktuellen pro-europäischen Regierung an der Mitgliedschaft in der EU arbeitet. Zuletzt im März 2022, war ich nun erneut vor Ort, um mich über die Entwicklung der Bedrohungslage und die Umsetzung von Sicherheitsreformen informieren. Dabei konnte ich unter anderem mit Innenminister Afrian Efros, dem stellvertretenden Verteidigungsminister Valeriu Mija, mit Oleg Serebrian, stv. Premierminister der Republik Moldau und Minister für Reintegration sowie mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, Parlamentariern und Rosian Vasiloi, Leiter der Grenzpolizei, sprechen.
Moldau hatte ähnlich wie Deutschland am 24. Februar 2022 ein sicherheitspolitisches Erwachen. Daraufhin hat die Regierung Sandu einige Reformen im Sicherheitsbereich eingeleitet, insbesondere, um die Resilienz zu steigern, angesichts massiver hybrider Bedrohung durch Russland und die Lage der Republik neben der Ukraine und mit der militärischen Bedrohung aus dem russisch besetzten Transnistrien und dem beeinflussten Gagausien. Der hybride Krieg durch Russland arbeite gegen die Umsetzung der Reformen. Mit politischen Proxies in Gagausien, Transnistrien, mit Desinformation, durch Korruption, bezahlte Unruhen und die Medienkontrolle verfestigt sich der russische Einfluss im Staat und in der Bevölkerung. Die Regierung arbeitet deshalb daran, eine "wehrhafte Demokratie" zu schaffen mit verteidigungsbereiten Strukturen zur Abwehr des hybriden Krieges und zu Schaffung von mehr Resilienz in der Gesellschaft.
Ich bin sehr dankbar, für die Einblicke und den Austausch.
Bildergalerie:
Fotos: Roderich Kiesewetter
- zerstörtes Gebäude neben der Regionalverwaltung Odessa
- Ankunft am Bahnhof Odessa
- Denkmal für gefallene Soldaten neben dem AA in Kyiv
- Gespräch mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister der Ukraine Schewtschenko
- im Goncharenko Centres Education and Culture Odessa
- Innenminister Afrian Efros MDA
- Maidan Kyiv
- rechts: stellvertretender Verteidigungsminister MDA Valeriu Mija
- beschädigte Verklärungskathedrale Odessa
Den vollständigen Bericht können Sie als PDF herunterladen.