Gunther Krichbaum
Ausgangspunkt des Élysée-Vertrages war die deutsch-französische Versöhnung nach dem von Deutschland verursachten Zweiten Weltkrieg. Dies ist auch heute noch ein Modell für die Welt und zeigt,
dass es möglich ist, Krieg und Hass zu überwinden, so undenkbar das oft auch im Hier und Heute erscheint. Dafür braucht es Frauen und Männer, die mit Mut vorangehen. Und so verdanken wir bis
heute Charles de Gaulle und Konrad Adenauer sehr, sehr viel. Sie reichten sich auf den Trümmerbergen von Europa die Hände in dem Versprechen, dass sich solch ein Krieg nie mehr wiederholen darf.
Besondere Bedeutung hatte damals auch der französische Außenminister Robert Schuman. Er hatte die geniale Idee, Kohle und Stahl unter die Verantwortung einer gemeinsamen Behörde zu stellen, weil
eben Kohle und Stahl damals die Rohstoffe für die Rüstungsindustrie waren. Das war der Nukleus der europäischen Gründungsgeschichte und der europäischen Integration.
Der Élysée-Vertrag 1963 war in der damaligen Zeit der vorläufige Höhepunkt einer bis dato beispiellosen Aussöhnungsgeschichte. Es war dann Präsident Emmanuel Macron, der in seiner Sorbonne-Rede
2017 die Weiterentwicklung des Élysée-Vertrages vorbrachte. Der nachfolgende Aachener Vertrag hat aber seinen besonderen Charme darin, dass parallel dazu ein Parlamentsabkommen abgeschlossen
wurde und wir seit dieser Zeit sagen können: Wir haben eine gemeinsame Kammer unserer beiden Parlamente.
Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen und das deutsch-französische Verhältnis darf sich nicht auf Rituale beschränken. Wir müssen vor allem die Jugend ermuntern, die Sprache des jeweiligen
Nachbarn zu erlernen. Es sind zu wenige Deutsche, die heute die französische Sprache lernen. Das ist auch umgekehrt der Fall. Wenn wir sehen, dass wir in Österreich - sicherlich aus anderen
Gründen - fast 30 000 deutsche Studenten haben, aber im Jahr nur 4 000 deutsche Studenten nach Frankreich gehen, dann müssen wir feststellen: Das ist eine Diskrepanz, die nicht ins Bild
passt.
Unerwähnt dürfen aber auch nicht die Spannungen zwischen Bundeskanzler Scholz und Emmanuel Macron bleiben. Das deutsch-französische Verhältnis ist in einer ernsten Situation. Die Alleingänge des
Bundeskanzlers haben schwere Verstimmungen hervorgerufen. Man denke an die Prager Rede Ende August letzten Jahres, in der Kanzler Scholz nicht einmal das deutsch-französische Verhältnis erwähnt
hat. Man denke an das 200-Milliarden-Euro-Paket zur Abfederung der hohen Energiepreise, das überhaupt nicht mit Frankreich kommuniziert wurde. Man denke an die Absage der deutsch-französischen
Regierungskonsultationen Mitte Oktober letzten Jahres - ein vorläufiger Tiefpunkt. Man denke an den Besuch des Kanzlers in China, als er sich von der dortigen Partei- und Staatsführung gnadenlos
für propagandistische Zwecke hat einspannen lassen.
Das wäre anders gegangen. Das muss anders gehen; denn dies führt zu Gegenreaktionen, wie wir gesehen haben. Zuletzt lieferte Frankreich Kampfpanzer an die Ukraine, ohne vorher die Abstimmung mit
Berlin gesucht zu haben. Hier fehlt es Kanzler Scholz bislang an der notwendigen Empathie. Aber genau das braucht das deutsch-französische Verhältnis. Es braucht Empathie, damit Sympathie
entstehen kann. In Europa wird sich nichts nach vorne bewegen, wenn Deutschland und Frankreich nicht miteinander harmonieren und sympathisieren. Es wird Zeit, seitens der Bundesregierung dafür
wieder Sorge zu tragen.