Roderich Kiesewetter
Es ist Putins Krieg - ein brutaler und völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine, der lange geplant und orchestriert war. Es gab viele Warnzeichen und die Sicherheitsbedenken
osteuropäischer Staaten sind berechtigt, denn die Gefahr ist groß, dass es Putin nicht nur um die Ukraine geht. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in seiner gestrigen Rede an den Bundestag
eindringlich vor den Folgen des Krieges in seinem Land gewarnt. In Europa entstehe eine „neue Mauer“, die unterdrückte von freien Staaten trenne. Er appelliert an die Hilfe Deutschlands.
In der vergangenen Woche war ich als Sprecher für Krisenprävention der Union in Polen und der Republik Moldau. Beide Länder sind von den Kriegsfolgen in der Ukraine ganz direkt betroffen. Meine
Gespräche in Polen haben die außenpolitischen Zeitenwenden sowohl in Polen wie auch in Deutschland klar aufgezeigt. Polen hat lange das Festhalten Deutschlands an Nord Stream 2 kritisiert und
Deutschlands Abhängigkeit von russischer Energie angeprangert. Der Stopp von NS2 sowie die Unterstützung der Sanktionen durch Deutschland werden durchaus positiv wahrgenommen, auch wenn Polen
beispielsweise darauf dringt, den Gas- sowie Ölimport aus Russland gänzlich zu stoppen. Hier hofft Polen, dass Deutschland seine zurückhaltende Haltung aufgibt und das Heft des Handels in die
Hand nimmt. Andererseits hat Polen seinerzeit ebenfalls einen Paradigmenwechsel vollzogen. Es war gerade auch Polen, das in den Jahren nach 2015 einen fairen Verteilmechanismus von Asylsuchenden
in Europa verhindert hat. Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat Polen inzwischen über eine Million Menschen aufgenommen – eine humanitäre Kraftanstrengung, die man anerkennen muss. Die
Aufnahmefähigkeit kommt aber mit zunehmender Zeit an eine Grenze. Polen braucht die europäische Solidarität, um diese Herausforderung leisten zu können. Polens Opposition sprach von einem
„Treppenwitz der Geschichte“, dass es nun Polen sein wird, das die EU um eine faire Verteilung von Geflüchteten bitten wird. Wir sollten hier genau nicht mit der gleichen ablehnenden Haltung wie
Polen nach 2015 reagieren, sondern, ganz im Gegenteil, als Europa voll solidarisch sein und Polen bei der Aufnahme und Verteilung unterstützen. Es wird nachhaltig in Erinnerung bleiben, wenn
Polen jetzt erfährt, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Polen braucht unsere Solidarität und ich finde, wir sollten diese auch leben.
Chişinău und die ukrainische Hafenstadt Odessa trennen nur etwas mehr als 150 Kilometer Luftlinie. Schon heute fliehen viele Ukrainerinnen und Ukrainer in das 3 Millionen Einwohner-Land Moldau.
Bei einer weiteren Zuspitzung des Krieges und einem russischen Angriff auf Odessa wird dieser Zustrom nochmals deutlich zunehmen. In der Republik Moldau habe ich unter anderem mit der
Innenministerin, Ana Revenco, und Verteidigungsminister Anatolie Nosatîi gesprochen. Die Republik Moldau nimmt durchaus wahr, dass Deutschland wie auch Europa erkennen, dass Moldau zu einem
zentralen Akteur in den kommenden Wochen werden wird. Allerdings sind auch die Forderungen sehr klar: Hilfsgüter aus Europa seien inzwischen genügend vorhanden, es fehle jedoch an Personal und
Geld – gerade, um die Situation an der Grenze besser handhaben zu können. Hier habe ich mir beim Besuch eines Durchgangslagers in Palanca, direkt an der ukrainischen Grenze, ein Bild
gemacht.
Klar wurde die Haltung, die Geflüchteten menschenwürdig und mit offenen Armen aufnehmen und versorgen zu wollen. Die Republik Moldau ist jedoch ein verhältnismäßig armes Land. Die humanitäre
Versorgung der Geflüchteten führt in kürzester Zeit dazu, dass staatliche Verpflichtungen, wie die Auszahlung von Renten und Pensionen, nicht mehr geleistet können. Dem System droht ein Kollaps.
Europa muss Moldau helfen, indem die notwendige finanzielle Unterstützung bereitgestellt wird, um das System vor einem möglichen Zusammenbruch zu bewahren. Gleichzeitig müssen wir Personal
bereitstellen, das die moldauischen Behörden bei den ganz praktischen Herausforderungen unterstützt. Wir - EU und das transatlantische Bündnis - sollten alle Möglichkeiten nutzen, die Ukraine
widerstandsfähig zu halten und zu unterstützen. Dazu gehört für mich der Stopp aller Öl- und Gaslieferungen, zumindest aber der Lieferungen über Nord Stream 1 und die Ausweitung des Ausschlusses
vom SWIFT-Zahlungsverkehr wie auch militärische Unterstützung. Die Bundeswehr hat selbst kaum Material, das sinnvoll lieferbar wäre, aber die Bundesregierung könnte es der Industrie ermöglichen,
direkt an die Ukraine zu liefern. Der Angriffskrieg ist eine Disruption in Europa. Er zeigt Deutschland bitter die Fehler der Vergangenheit auf. Er muss zu einem Umdenken in der
Sicherheitspolitik führen. Er hat aber auch dazu geführt, dass die EU näher zusammenrückt und gemeinsam mit der USA und dem transatlantischen Bündnis ein starkes geschlossenes Signal sendet.
Daran müssen wir ansetzen, denn es gibt noch weitere Möglichkeiten, die Ukraine zu stützen und alles dafür zu tun, die Menschen zu schützen und die Souveränität der Ukraine zu erhalten. Die
Ukraine kämpft für unsere Werte: Frieden, Freiheit und Demokratie.